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16.12.20
Hintergrund: Am Donnerstag, 17.12.2020, wird im Augsburger Stadtrat über einen Livestream von Stadtratsversammlungen abgestimmt. Tatsächlich sind wir hier in Augsburg absolute Nachzügler: Die Münchner Stadträt*innen tagen schon seit 2013 (!) mit einer Live-Übertragung und begleiten die Diskussionen im Stadtrat sogar parallel auf Twitter.
Melanie Hippke (MH): Florian, ihr setzt eure Stadtratssitzungen schon seit 2013 mit einem Livestream um. Da wart ihr ja tatsächlich schon großer Vorreiter*innen! Wie kam es dazu?
Florian Roth (FR): Mir und den Münchner Grünen war es damals schon wichtig, dass die Kommunalpolitik neue Wege geht, um Menschen mitzunehmen. Der Livestream war für uns deshalb ein weiteres wichtiges Signal an die Bürger*innen, dass der Stadtrat mehr Transparenz und Öffentlichkeit herstellen will und dabei auf moderne Kommunikationstechnologien setzt. Mit anderen parlamentarischen Gremien in Jena, Essen und Wuppertal und auch mit einigen Landtagen waren wir damals eine der ersten Kommunen, die einen Livestream umgesetzt haben.
MH: Wie wurde es bisher angenommen?
FR: Die Zuschauerreichweite ist mit den Live-Übertragungen stark gestiegen. Bei den Übertragungen ist der Unterhaltungswert bei den teils sehr spröden Themen eher gering. Dennoch verzeichnen wir nicht nur eine hohe Zuschauerzahl, sondern auch vor allem bei den jungen Leuten einen großen Zuspruch. Bisher waren zwischen 1000 und 5000 Interessierte live dabei, es hängt natürlich stark von der Tagesordnung ab. Damit erreichen wir deutlich mehr Menschen, als in unserem Sitzungssaal auf den Zuschauertribünen Platz finden würden.
MH: Stehen die Live-Übertragungen auch im Nachhinein zur Verfügung?
FR: Zunächst waren die Videos drei Monate in der Mediathek der Stadt-Seite abrufbar. Wir Grüne wollten eigentlich eine längere Bereitstellung erwirken. Leider hat man sich da dagegen entschieden. Aktuell ist es so, dass das Video nur ein paar Wochen online ist und dann von der Seite entfernt wird. In anderen Städten werden die Videos in einer Art Mediathek zur Verfügung gestellt.
MH:Wie ist es mit Datenschutz oder anderen Rahmenrichtlinien?
FR: Grundsätzlich geht es hier um die Persönlichkeitsrechte der Politiker*innen, aber auch der städtischen Angestellten. Alle Politiker*innen müssen eine Einverständniserklärung unterschreiben. Wobei die Zusage der Stadträt*innen zum Livestream nicht einstimmig sein muss, um diesen umzusetzen. Vielmehr können einzelne Mitglieder “Nein” dazu sagen, so auch das Personal der Stadt, dann muss nur gewährleistet sein, dass bei den Aufnahmen diese Personen nicht ins Bild kommen. Außerdem kann zwischen Zusage zu Bild und Ton, oder Zusage nur zu Ton unterschieden werden. Die Nutzungsrechte verbleiben bei der Stadt, d.h. niemand anderem ist es erlaubt, die Aufzeichnung zu verändern oder nur Auszüge daraus zu verwenden. Es sollte aus datenschutzrechtlichen Gründen nur die Person gefilmt werden, die aktuell spricht und vorab ihre Einwilligung gegeben hat. Kameraschwenks auf andere Sitzungsteilnehmende oder Zuschauer*innen sind nicht zulässig. Auch Übertragungen vor und nach der Sitzung oder während den Pausen dürfen nicht stattfinden. Allerdings ist das speziell bei uns in Bayern so, die datenschutzrechtlichen Rahmenrichtlinien sind aber Ländersache.
MH: Was ist der technische und personelle Aufwand für die Kommune?
FR: Der technische Aufwand für die Übertragung ist ziemlich gering. Man sollte über gute DSL-Leitungen, einen extra Ton und z.B. zwei fest installierte Kameras verfügen. Ein externer Dienstleister kümmert sich dann um die Aufnahme selbst und den anschließenden Schnitt und die Bereitstellung als Stream. Und es braucht eine Art Sendeleitung für die Aufzeichnung, das übernimmt bei uns jemand aus dem Presseamt.
MH: Manche haben ja Bedenken, dass sie sich durch die neue Öffentlichkeit bloßgestellt fühlen und deshalb sich weniger zu Wort melden. Oder andersrum: Einzelne Abgeordnete hören sich sehr gerne reden und da stellt sich mir die Frage, ob dies für ein solches Format nicht fatal ist? Wie siehst du das?
FR: Das erste Argument ist meines Erachtens aus der Luft gegriffen. Stadträt*innen können und müssen sich in der Öffentlichkeit zeigen und ausdrücken können. Denn auch bei den nicht übertragenen Sitzungen ist ja Öffentlichkeit vorhanden, also Pressevertreter*innen und interessierte Bürger*innen. Bei uns in München hat sich kein Unterschied im Verhalten der Abgeordneten ohne oder mit Livestream gezeigt. Zu den überlangen Redebeiträgen kann ich nur sagen, dass diese auch ohne Kamera stattfinden und diese aber auch über Redeordnungen reguliert werden können. Längere Diskussionen gehören ja eigentlich auch eher in die Ausschüsse.
MH: Vor 10 Jahren gab es bei uns in Augsburg eine Debatte über einen Tweet eines Grünen Fraktionsmitglieds, der während einer Stadtratssitzung abgesetzt wurde. Was für eine Rolle spielt Twitter in den Sitzungen?
FR: Mit dem #stadtrat_live findet schon seit 2014 neben der eigentlichen Stadtratssitzung eine Parallelkommunikation auf Twitter statt. Wo anfangs noch hauptsächlich die Verwaltung selbst und die Fraktionen getwittert haben, sind seit längerem nun auch die Politiker*innen selbst, Journalist*innen und Zuschauer*innen am tweeten. Mit Twitter ist nochmal mehr Transparenz und ein leichterer Zugang zu den politischen Debatten entstanden.
MH: Florian, vielen Dank für deine Zeit und das spannende Interview!
Das Interview führte Melanie Melitta Hippke, Sprecherin für Soziales, Stiftungen und Senior*innen der Grünen Stadtratsfraktion und im Hauptberuf als Diplom-Sozialpädagogin tätig.
Augsburg, 16. Dezember 2020
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